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Kraibergsiedlung

 

Vom Fort von der Tann zur Kraibergsiedlung.

 
Broschüre der Ausstellung 2010 im Markt Museum Gaimersheim.

Veröffentlichung genehmigt durch (via Reiner Retzer):
Bürgermeisterin Andrea Mickel und die Museumsleiterin Martina Persy.





Ingolstadt lag an handels- und militärstrategisch wichtiger Stelle, an der Kreuzung der Straßen von Regensburg nach Ulm sowie von Nürnberg/Amberg nach Augsburg/München, und hier gab es einen gesicherten Donauübergang.
Herzog Wilhelm IV. v. Bayern (1508-1550) ordnete ab 1537 an, Ingolstadt zur bayrischen Landesfestung auszubauen. Vor der mittelalterlichen Stadtmauer entstand eine Befestigung mit großen fünfeckigen Basteien (Ziegel-, Harder-, Kugel- und Frauenbastei). Mit der Zeit wurde die Festung weiter ausgebaut. Unter Kurfürst Karl Theodor (ab 1777 Kurfürst v. Bayern) verschlechterte sich jedoch ihr baulicher Zustand. Mit Napoleon Bonaparte kam der Niedergang, um 1800/1801 ließ er die Landesfestung Ingolstadt schleifen.
Kurz darauf, 1806, folgte der Beschluss, die Stadt erneut zur Hauptfestung des Landes auszubauen. Nach Verzögerungen begann zwischen 1828-1849 ein Neuaufbau. Ludwig I. (König v. Bayern 1825-1848) bestimmte trotz mancher Gegenstimmen Ingolstadt als Standort der Landesfestung. Die drohende Kriegsgefahr zwischen Bayern und Preußen sowie eine verbesserte Geschütztechnik führten zu größeren Baumaßnahmen, denn "allen Verantwortlichen war bewusst, dass Ingolstadt ohne starke Vorwerke eine unfertige Festung war" (Aichner, Gesichter und Geschichten, S. 157). So kamm es zum Bau des ersten Vorwerksgürtels 1866-1871 und dem Bau des äußeren Fortgürtels ab ca. 1875.





Auf dem Kraiberg, südöstlich von Gaimersheim entstand zunächst ein trockener Graben und 26 Wallgeschütze. Vom 4. April 1877 bis 1. August 1887 wurde gebaut. Der Bau war aufgrund ungünstiger Bodenverhältnisse nicht einfach, wiederholte Rutschungen verzögerten die Arbeiten. Am 24. Februar 1884 bekam das Fort III auf Anordnung des Bayrischen Ministeriums seinen heutigen Namen: Fort III - Von der Tann.
Die Arbeiten waren noch nicht lange abgeschlossen, da machte die Einführung der Brisanzgranaten (Artellerie) bzw. ihre Zerstörungskraft weitere Baumaßnahmen nötig. Die Decken der vorhandenen Vorwerke hielten der Wucht der Granaten laut Versuchen nicht stand.
Die Forts sollten nun vor allem nicht mehr durch Artellerie, sondern Infanterie verteidigt werden. Die schwere Artellerie sollte in Anschlussbatterien bei den Forts ihre Stellung finden, die Zwischenräume zwischen den einzelnen Forts durch Zwischenwerke und Infanterieuntertreträume überbrückt werden. Eine Verstärkung des Forts von der Tann erfolgte zwischen 18. September 1888 und 18. Juni 1891. Der Bau der Anschlussbatterien und die Ausführung weiterer Maßnahmen wie der Bau von Verbindungsstraßen zwischen den einzelnen Stationen des Fortgürtels erstreckte sich auf die Folgejahre.





Ludwig Samson Heinrich Arthur Freiherr von und zu der Tann, ab 1868 Tann-Rathsamhausen wurde am 18. Juni 1815 in Darmstadt geboren als Sohn des bayrischen Kämmerers Heinrich Freiherr von und zu der tann und einer Freiin von Rathsamhausen.

1833 begann er als Leutnant in der bayrischen Artellerie seine erfolgreiche militärische Laufbahn. 1840 erfolgte die Versetzung in den Generalstab, 1844 die Ernennung zum Adjutanten des Kronprinzen Maximillians und schließlich der Aufstieg zum Major. Berühmt wurde er als königlich bayrischer General der Infanterie.

Er verstarb am 26. April 1881 in Meran (Südtirol) als Kommandeur des Ersten Bayrischen Armeekorps. König Ludwig II. bestimmte im Andenken an General von der Tann, dass das II. Infanterie-Regiment den Namen "von der Tann" unverändert fortführe und verfügte für das Jahr 1884 die Aufstellung der Marmorbüste von der Tann's im Armeemuseum in München. Im gleichen Jahr erhielt auch das Fort III den Namen des Generals.





Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs diente das Fort von der Tann zunächst als Kaserne, dann als Kriegsgefangenenlager und schließlich zur Lagerung von Munition und Heeresgut. Zu Kriegsende stellte sich die Frage, was aus der festung Ingolstadt und ihren Forts werden sollte. Depoträume für staatliche Zwecke, landwirtschaftliche Nutzfläche, Vogelschutzgebiet - die Ideen für eine Nutzung der Fortanlagen waren vielfältig. Die endgültige Entscheidung kam 1937. Auf Führerbefehl wurde die Festung Ingolstadt aufgelöst, die Anlagen kamen in die Verantwortung des Ingolstädter Heereszeugamtes.
1939-45 fungierte das Fort von der Tann als Munitionsfabrik. Am Nachmittag des 8. Juli 1942 gegen 14:00 Uhr ereignete sich ein schwerer Unfall. Eine Explosion in einer der Pulverkammern forderte 12 Menschenleben und einige Verletzte.
Zu Kriegsende 1945 versuchten die Nationalsozialisten die bestände der Pulverfabrik in Sicherheit zu bringen. Bauern aus Gaimersheim und der näheren Umgebung mussten mit den noch vorhandenen Ochsen und Pferden den Munitionstransport vom Vorwerk aus zu den umliegenden Verteidigungslinien übernehmen. Ein Luftangriff am 5. April 1945 beschädigte das Fort stark. Nachdem die Amerikaner Gaimersheim eingenommen hatten, dient das Fort kurzzeitig als Lager. Der umliegende Waldbestand wurde abgeholzt. Eine erneute Explosion am 18. Juni 1945 zerstörte das Gaimersheimer Fort weitgehend.





Der Kontrollrat der Alliierten hatte nach dem Zweiten Weltkrieg die Schleifung der militärischen Anlagen angeordnet. Der Ingolstädter Landrat Dr. Gerhard Kramer sah jedoch in den alten Anlagen eine Chance für den Bau von Siedlungen:
"Mit den Siedlungen sollen menschenwürdige Wohnstätten für die Ausgewiesenen und Flüchtlinge des Landkreises geschaffen werden, ohne dabei Land in Anspruch zu nehmen, das ernährungswissenschaftlich wertvoll ist ... Es muß durch die neuen Wohnungen auch gleichzeitig erreicht werden, dass die in vielen Fällen bis zur Unverträglichkeit belegten bäuerlichen Betriebe wieder den für ihre Wirtschaftszwecke nötigen Raum freibekommen".

Kramer knüpfte Kontakte zum Landesamt für Vermögensverwaltung und konnte mit Unterstützung des Leiters der Außenstelle Ingolstadt nach einigen Verhandlungen erreichen, dass das ehemalige Fortgelände zur Ansiedlung von Flüchtlingen und Heimatvertriebenen freigegeben wurde. Auch die Regierung von Oberbayern setzte sich schließlich für das Siedlungsvorhaben ein.





Für den Siedlungsbau am Kraiberg in Gaimersheim wurde ein Architektenwettbewerb ausgeschrieben. Die Häuser sollten ihrer Bauweise nach möglichst billig zu erstellen sein, um durch geringfügige Mietzahlung, die später auf den Kaufpreis angerechnet werden würden, den Flüchtlingen bald zum Eigentum an ihrem haus zu verhelfen. Die Nutzung der Grundstücke erfolgte zunächst unentgeltlich. Um die Baukosten möglichst gering zu halten, sollten die Flüchtlingsfamilien, die ihren Hausplatz erhielten, selbst mit Hand anlegen. Fachmännische Anleitung wurde gestellt. Jedoch konnte sich nicht jeder um ein Stück Land bewerben. Die Auswahl der Flüchtlinge, die bauen durften, erfolgte nach Grundsätzen, die in Vereinbarung mit den Flüchtlingsbehörden und dem Arbeitsamt festgelegt wurden.




Um gut und schnell bauen zu können, sollte mit Lehm gebaut werden. Diese in der Gegend unübliche Bauweise kommt mit wenig Zement, Kalk und holz aus, dafür kann mit den im Gebiet vorhandenen Kontingenten an Lehm und mit dem material des gesprengten Forts gebaut werden.
In Behördenkreisen fand die Lehmbauweise zunächst Gegner, das Siedlungsvorhaben stand auf der Kippe. Hierauf schlossen sich Vertreter der Sudetendeutschen Landsmannschaft und des Kreisverbandes der Landsmannschaften der Donauschwäbischen Und Karpatendeutschen Heimatvertriebenen in Bayern zusammen und verfassten ein Schreiben an die Regierung.





Für Gaimersheim plante man zunächst 150, in Manching 30 bis 40 Häuser. Die Ansiedlung sollte in einem Gürtel um das gesprengte Fort errichtet werden.
Alle Häuser folgten dem selben Bauschema: Grundriss 7,5m auf 9m, zur Hälfte unterkellert, Fundament und Keller jeweils aus massivem Stampfbeton. Im Erdgeschoss: eine Wohnküche mit 14,86 qm, 2 Zimmer (11,5 und 12,8 qm) sowie ein Abstellraum mit 4,75qm, der als Bad ausgebaut werden kann. Im Dachgeschoss: eine Wohnküche und ein weiteres Zimmer, zusammen 32,5qm. Das Dach ist mit Biberschwänzen doppelt gedeckt. Die fenster wurden alle als Doppelfenster hergestellt und mit Klappläden versehen. Der Innenputz ist mit Lehmmörtel aufgeführt. Insgesamt bestehen für eine Familie: 3 Räume mit garten von ca. 1/3 Tagwerk.
Das "Musterhaus", das im November 1949 von der Landeskreisverwaltung Ingolstadt errichtet wurde, wird im November 1949 von Regierungspräsident Balles und Mitgliedern der Regierung von Oberbayern inspiziert und genehmigt. Dieses erste Haus bezog schließlich Familie Lang aus Jugoslawien.





25 Siedler begannen mit dem ersten Bauabschnitt bestehend aus elf Häusern. Dieser wurde am 10. Dezember 1950 eingeweiht.
Die ersten Häuser wurden noch mit Lehmstampfern per Hand gestampft. Für die zweite Bauabschnittsphase konnten bereits die ersten motorbetriebenen Stampfer, die leihweise die Firma Wacker (Werk Ebenhausen) zur Verfügung stellte, in Betrieb genommen werden.
Der Landkreis Ingolstadt fungierte zunächst als Bauherr und Besitzer. Die Besitzübertragung aud die Pächter erfolgte nach der Fertigstellung eines Hauses. Mit Tilgungsraten konnten die Siedler ihre Häuser abbezahlen. Die monatliche Belastung für die Hausbesitzer betrug dabei ca. 20 DM.





Nach und nach entwickelte sich die heutige Kraibergsiedlung mit eigenem Gasthaus "Guck ins Land". Für den Staßenbau verwendeten die Siedler - die als Bauherrn selbt Hand anlegen mussten - Material aus dem gesprengten ehemaligen Fortwerk. Mit Schaufel und Pickel entstand der Unterbau der Straße, Bruchsteine aus dem Fort dienten als Straßenunterlage. LKWs waren eine Seltenheit, daher kamen auch noch Pferdegespanne zum Einsatz.
Die Lehmbauweise wurde bei den weiteren Bauabschnitten ergänzt durch neue Bauvarianten wie das schichtweise Auftragen von Ziegelsteinen und Lehm oder das mauern mit Hohlblocksteinen.





Das ehemalige Fortgelände liegt heute versteckt zwischen den Häusern der Kraibergsiedlung. Als öffentlicher Erholungsraum mit Erlebnisspielplatz hat es eine neue Funktion bekommen.



© Markt Museum Gaimersheim



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