21.12.2024 - 13:24 Uhr Guten Tag. Reisebericht Noll
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Reisebericht - Dr. Noll


Im April 2013 bereiste Dr. Ludwig Noll die "alte" Heimat.
Seinen Reisebericht stellt er hier zur Einsicht bereit.


» Reisebericht im Original als pdf öffnen.




Auf Spurensuche in Surcin und Neu Pasua

Bei einem gemütlichen Kaffeetrinken am Faschingsdienstag, diesen Jahres, kam bei meinem Bruder und mir spontan der Gedanke auf in die Heimat unserer Vorfahren nach Surcin und Neu-Pasua im heutigen Serbien zu fahren, um nach Spuren aus der donauschwäbische Zeit zu suchen. 1972 war ich bereits schon einmal in Surcin gewesen. Auf einer Urlaubsfahrt nach Griechenland und in die Türkei machte ich damals in dem „auf dem Weg“ liegenden Surcin einen kurzen Stopp und sah mich für einige Stunden in Surcin um. Leider ohne genaue Karten, die ja erst später im Surciner Heimatbuch veröffentlicht wurden. Ich besaß lediglich eine kleine Skizze, die ich mir nach Angaben meines Vaters (Peter Noll, geb. 06.09.1909) gemacht hatte. Mit dem Ergebnis, dass ich vor Ort nicht mehr sicher war, in welchen Häusern meine Eltern und Verwandten gewohnt hatten. Ich habe damals einige Fotos (Dias) gemacht, die leider in den vergangenen vier Jahrzehnten deutlich an Qualität eingebüßt haben. Auch die Farbbilder meiner Cousine Lena Sorg (geb. Kumpf), die zwei Jahre später in Surcin war und meines Cousins Gottlieb Weber, der drei Jahre später ebenfalls Surcin besuchte, leiden an diesen technischen Mängeln.

Nach einer kurzen Recherche im Internet schien mir eine Städtereise nach Belgrad die beste Möglichkeit Surcin und Neu-Pasua zu besuchen. Mit einem Flug nach Belgrad und einer Unterkunft in der Nähe des Bahnhofes konnte Surcin bequem mit dem Bus und Neu-Pasua ebenso bequem mit der Regionalbahn erreicht werden. Am 24. April 2013 war es schließlich soweit. Um 11:20 Uhr startete die Lufthansa-Maschine von Frankfurt nach Belgrad zum Nicola Tesla Airport. Der Flug dauerte 1 Stunde und 40 Min. Für die gleiche Strecke hatten unsere Vorfahren 1785 weit größere Mühen auf sich nehmen müssen. Aus der Region Weilburg im Taunus kommend, der ehemaligen Grafschaft Nassau-Weilburg, sind sie wohl nach Zahlung ihres Abzugsgeldes ebenfalls über Frankfurt gereist. In Frankfurt werden sie ihre Reisepapiere bei der konsularischen Vertretung Österreich-Ungarns bekommen haben. Ich denke, dass sie zu Fuß, ihre Kinder auf Handwagen ziehend, den Weg an der Bergstrasse entlang nach Ulm genommen haben, um dort auf eine der Ulmer Schachteln zu kommen und auf dieser die Donau hinab zu fahren. In Wien sind sie 1785 registriert worden und haben dort ihr Reisegeld bekommen, bevor sie weiterreisten. Das erste Siedlungsgebiet meiner Familie war in Cervenka, später wanderte die Familie nach Neu-Pasua weiter, zuletzt dann nach Surcin. Dem Ort, den wir mit dem Flugzeug jetzt nach, noch nicht einmal zwei Stunden Flug, erreichten. Der Nicola Tesla Airport liegt auf dem Gemeindegebiet von Surcin, vom Ort nur drei Kilometer entfernt. Von diesem fuhren wir mit dem Bus in die Stadt zum Belgrad City Hotel am Hauptbahnhof. Da uns die Zeit kostbar war, haben wir das Hotel nach wenigen Minuten wieder verlassen, um uns Belgrad etwas anzusehen. Zuerst fuhren wir mit der Straßenbahn zur Festung Kalemegdon, die beeindruckend über Belgrad gelegen ist und einen herrlichen Blick auf die pannonische Tiefebene mit den Flüssen Save und Donau bietet. Nach der Besichtigung und einem kleinen Spaziergang durch Belgrad fuhren wir gegen 19 Uhr nach Semlin. Dort wanderten wir durch diese sehr lebhafte Stadt und gingen schließlich ans Donauufer, um in einem der am Donaustrand gelegen Lokale zu Abend zu essen. Hier ließen wir den Tag, mit dem Blick auf das nächtliche Belgrad, ausklingen. Da die Sonne den ganzen Tag mit aller Kraft die Luft aufgeheizt hatte und wir bei ständig blauem Himmel Tagestemperaturen um 30 Grad hatten, war das Sitzen am Fluss sehr angenehm und erholsam. Wäre nicht das andere Donauufer zu sehen gewesen, hätte man glauben können am Strand eines Küstenortes am Mittelmeer zu sein.

Am nächsten Tag widmeten wir uns dem eigentlichen Zweck unserer Reise und fuhren kurz nach 8 Uhr mit der Buslinie 601 direkt vom Hauptbahnhof über Neu-Belgrad und Beschanien nach Surcin. In Neu-Belgrad imponierten die gewaltigen Hochhaussiedlungen. Auch in Beschanien waren auf der linken Straßenseite riesige Hochhausanlagen zu sehen. Auf der rechten Fahrbahnseite stehen kleine ältere Häuser, die zum Teil noch aus der Zeit von vor 1944 stammen und in denen bis zur Flucht wohl auch Deutsche gewohnt haben. Nach etwa 40 Minuten hatten wir unser Ziel, Surcin, erreicht. Wir wanderten zunächst die Hauptstrasse entlang, an der katholischen Kirche vorbei, um dann in eine Seitenstrasse in Richtung des katholischen und des evangelischen Friedhofs einzubiegen. Zunächst gingen wir über den katholischen Friedhof, filmten einige Gräber mit Namen, Geburtsdaten und Grabbildern von Verstorbenen. Unseren älteren Verwandten dürften noch viele dieser Namen bekannt sein. Danach begaben wir uns zu dem angrenzenden evangelischen Friedhof, der in einem beklagenswerten Zustand ist. Die Grabsteine sind alle umgestürzt und mit Gras und Unkraut überwuchert. Es war ein etwas beklemmendes Gefühl, auf einer Wiese zu stehen, unter der vier Geschwister, zwei Großeltern und viele weitere Verwandte begraben sind. Das Laufen auf diesem Gelände ist nicht ganz ungefährlich, da man ständig auf Grabumrandungen und Grabsteine tritt, die unter dem Gras nicht zu erkennen sind. Einige der Grabinschriften haben mein Bruder und ich vom Gras befreit, fotografiert und gefilmt.






Auf der Suche nach Grabinschriften.



Ein völlig überwuchertes Grab.



Dir folgen meine Thränen. Gern trag ich alles Leid. Damit nach langem Sehnen mich Gott mit dir vereint.



Betrauert von den Eltern u. Geschwistern. Ruhe sanft.



Grabstein Johann Maier.

Einzig das Grabdenkmal der Familie Geyer steht noch, es ist jedoch in keinem guten Zustand. Die Inschriften sind aber noch gut zu erkennen.



Gruft der Familie Geyer.

Entlang des Grundloches gingen wir dann zur Neugasse und von da in die Nollgasse zu den Grundstücken, auf denen einstmals die Anwesen meiner Großeltern und anderer Verwandten waren. Das Eckgrundstück, das einmal meinem Großvater Gottlieb Noll gehörte, ist schon länger neu bebaut,





Neues Haus auf dem Gelände der Großeltern Noll von Hubers
und vom Anwesen von Jakob Noll aus gesehen.


auf den benachbarten Anwesen von Jakob Noll und Adam Schaffner stehen ebenfalls Neubauten.





Haus auf dem Anwesen Jakob Noll mit Resten des alten Siedlerhauses
und Haus auf Grundstück Adam Schaffner.


Wir begaben uns dann die Nollgasse hinunter bis zur Ecke Kanalgasse, hier hatte mein Großvater Josias Kumpf sein Haus, auch hier ist alles neu bebaut.





Neue Häuser auf dem Grundstück der Großeltern Kumpf.




An der Ecke zur Kanalgasse ist das Haus von Besemers noch erhalten.

Wir gingen dann die Kanalgasse hinunter Richtung Kanal, hier gibt es jetzt eine Straße unterhalb der Weinberge, die vor 1944 nicht vorhanden war. Wir wanderten unterhalb der Weingärten weiter bis zur alten Kanalbrücke. Die Region um die Brücke ist völlig verschmutzt und mit Abfällen bedeckt, hier befindet sich ein Zigeunerlager.



Blick von der Kanalbrücke zu den Weingärten.

Danach wanderten wir von der Kanalbrücke die Neugasse hoch bis zur Kreuzung mit der Nollgasse, in die wir nach rechts einbogen um die Grundstücke von Peter Huber, Holzmüllers und Konrad Noll zu betrachten. Einzig das Haus von Holzmüllers (Weber) steht noch.



Das Holzmüller (Weber) Haus ist noch erhalten, links zurückgesetzt das Haus auf dem Huber Grundstück.

Das Gelände des Huber Anwesens ist schon länger neu bebaut,



In der Mitte das Gelände des ehemaligen Huber Anwesens.

auf dem Gelände des Anwesens von Konrad Noll wird gerade ein Neubau errichtet.



Neubau auf dem Gelände von Konrad Noll.

Wir haben dann die Nollgasse verlassen, sind die Neugasse hinaufgegangen bis zur Hauptstraße und dann weiter nach links in Richtung zur orthodoxen Kirche.





Orthodoxe Kirche von Surcin.

Wir waren kurz in der Kirche, gingen dann auf die andere Seite der Straße zum Gefallenenehrenmal und dem Partisanendenkmal.





Partisanendenkmal und Gefallenenehrenmal.


An der Kreuzung Nahe der orthodoxen Kirche liegt ein Restaurant, in dem wir gut zu Mittag essen konnten. Danach marschierten wir die Hauptstraße entlang bis zur Einmündung in die Feldgasse,



Orthodoxe Kirche von der Feldgasse her gesehen.

diese gingen wir hinauf bis zum Gelände der ehemaligen evangelischen Kirche an der Deutschgasse Ecke Kanalgasse. Die Kirche wurde ja abgerissen und die Stelle mit Wohnhäusern bebaut. In der Deutschgasse habe ich einige Häuser gefilmt und dabei nicht bemerkt, dass hier eine Polizeistation ist, die ich unabsichtlich mit aufnahm. Dies bemerkte ein am Rand der Straße stehender Polizist, der uns sehr aufgebracht darauf hinwies, dass dies verboten sei. Wir begaben uns danach die Kanalgasse hinunter bis zur Hauptstrasse um dort in den Bus Richtung Beschania zu steigen. In Beschania gingen wir an der Kirche vorbei den Hohlweg hinauf auf die Anhöhe zum alten Friedhof. Trotz intensiver Suche konnten wir keine Gräber mit deutschen Inschriften finden.





An der Hauptstraße in Beschania.






Auf der einen Seite der Straße in Beschania sieht man Hochhaussiedlungen
auf der anderen Seite die alte Häuserzeile.


Da es uns am Vortag in Semlin am Donaustrand sehr gut gefallen hatte fuhren wir auch an diesem Abend wieder nach Semlin um den Abend dort ausklingen zu lassen.





Kirche am Marktplatz in Semlin und Gebäude am Marktplatz.


Am nächsten Tag hatten wir unseren Schwerpunkt auf Neu-Pasua gelegt, dem Geburtsort meiner Mutter. Mit der Regionalbahn fuhren wir vom Hauptbahnhof die 32 km nach Neu-Pasua.







Dort angekommen gingen wir zunächst zum Friedhof. Auf dem ganzen Friedhof ist lediglich noch ein Grabmal mit deutscher Inschrift zu finden, das Grabmal der Pfarrersfamilie Weber.





Grabinschrift für Ida Weber, der Tochter von Pfarrer Andreas Weber,
die als Kindergärtnerin in Neu Pasua tätig war.


Auf Nachfrage hat mir der Friedhofswärter noch die Grabplatten auf zwei Grüften von donauschwäbischen Familien gezeigt, die waren allerdings ohne irgendeine Inschrift. Vom Friedhof machten wir uns auf den Weg ins Stadtzentrum an der Kreuzung Ober-und Untergasse mit Donaustrasse und Lutherstrasse. Dort begaben wir uns zum ehemaligen evangelischen Gemeindehaus in den Luthersaal, in dem sich nun eine orthodoxe Kirche befindet.





Eingang und Inneres des ehemaligen Luthersaales.




Ehemalige Hauptschule von Neu Pasua neben dem ehemaligen Luthersaal.

Dann gingen wir die Untergasse hinunter bis zum ehemaligen Anwesen meines Großvaters Josias Kumpf, das dieser etwa um 1930 verkaufte, bevor er nach Surcin zog. Der Besitzer, der mich beim Fotografieren bemerkte, hat uns in den Hof gebeten und etwas zu trinken angeboten.



Er erzählte, dass seine Familie aus Mazedonien kommend das Haus 1959 käuflich erworben hat und er heute hier eine Bäckerei betreibt. Er berichtete weiter, dass er beim Umbau einen Vorrat von Sargbeschlägen gefunden habe. Dies ergibt einen Sinn, da mein Großvater das Haus an eine Familie Vogel verkaufte, die hier eine Sargtischlerei hatte.



Alter Bahnhof von Neu-Pasua.

Wir verließen daraufhin Neu-Pasua und fuhren mit dem Zug nach Belgrad zurück. Den Abend verbrachten wir, wie die beiden Abende zuvor, wieder am Donauufer in Semlin.





Ich selbst am Donauufer in Semlin, in der Ferne das nächtliche Belgrad.






Blick vom Donauufer in Semlin auf Belgrad.
Kurze Rast auf dem Marktplatz von Semlin (hier mein Bruder Karl-Heinz).


Am nächsten Morgen fuhren wir mit der Taxe zum Nicola Tesla Flughafen und waren nach einem kurzen Flug wieder in Frankfurt.



Unter uns möglicherweise Beschania beim Rückflug.

Surcin und Neu-Pasua sind Teil der Geschichte meiner Familie, wenn auch die Spuren dort mehr und mehr verblassen. Sie sind genau so ein Teil, wie Weilburg und der Taunus für meine väterliche Linie und die Bergstraße mit Heppenheim für meine mütterliche Seite. Die Zeitläufe haben es gefügt, dass ich mit meiner Familie wieder in Hessen lebe, in dem Hessen, aus dem die Not unsere Vorfahren vor fast 230 Jahren ins ferne Ungarn trieb.


Dr. Ludwig Noll
(Sohn von Elisabeth Noll (geb. Kumpf) und Peter Noll)




© Dr. Ludwig Noll

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